Wie grün ist ein Fahrrad denn jetzt wirklich?

Viele meiner Texte auf dieser Website und auch in anderen Medien enthalten die Behauptung, dass Fahrräder meistens gar nicht so nachhaltig sind, wie sie eigentlich sein könnten. Letztlich bin ich selber auch erst durch diese Erkenntnis auf die Idee gekommen, LINY zu gründen. Aber jetzt mal ehrlich: Wie klimafreundlich oder eben klimaschädlich ist denn ein durchschnittliches Fahrrad tatsächlich? Kann man das irgendwie in Zahlen angeben? Ich habe mal versucht das in diesem Artikel soweit zusammenzufassen.

Nach wie vor ist es mein Ziel, eines Tages den genauen ökologischen Fußabdruck meiner Fahrräder angeben zu können. Diesen zu bestimmen ist jedoch nicht mal so eben gemacht. Denn üblicherweise erstellt man dazu eine Ökobilanz (auch Umweltbilanz) im Rahmen eines Life Cycle Assessments (LCA, Lebenszyklusanalyse).

Inhalt

Was ist eine Ökobilanz?

LCAs dienen dazu, die Umweltwirksamkeit verschiedener Produkte oder Aktivitäten zu quantifizieren oder zu bewerten. Dabei werden alle relevanten Umweltauswirkungen, wie z.B. Energieverbrauch, Rohstoffnutzung, Emissionen und Abfall über den gesamten Lebenszyklus (engl. cradle-to-grave) eines Produkts einbezogen [1]. Die Ergebnisse des gesamten LCAs und seiner verschiedenen Teilbereiche können in verschiedenen Wirkungskategorien angegeben werden. Eine dieser Kategorien ist hier die Ökobilanz, angegeben in CO2-Äquivalenten, die die Klimawirksamkeit des betrachteten Produkts darstellt [2]. Man spricht hier auch gerne vom CO2-Fußabdruck (engl.: carbon footprint).

Unternehmen nutzen LCAs gerne, um beispielsweise besonders effektive Handlungspotentiale zur besseren Umweltverträglichkeit ihrer Produkte zu finden. Genauso werden sie aber auch als Anhaltspunkt für politische Entscheidungsprozesse genutzt. Gerade dabei sollte man jedoch im Hinterkopf behalten, dass ein LCA natürlich nur einen Aspekt eines Produkts oder einer Handlungsmöglichkeit darstellt. Soziale und ökonomische Faktoren werden nämlich gar nicht berücksichtigt [2].

Wie wird eine Ökobilanz erstellt?

Die Methodik einer Ökobilanz ist in der DIN EN ISO 14040/44 festgelegt und in vier Schritte unterteilt [2]:

  1. Zielsetzung: Welche Produkte sollen miteinander verglichen werden? Welche Phasen des Lebenszyklus sollen berücksichtigt werden? Wie werden die Systemgrenzen (engl.: scopes) der Ökobilanz definiert?
  2. Sachbilanz: Art und Menge der verwendeten Rohstoffe, Energieträger, Abfälle, etc.
  3. Wirkungsabschätzung: Einfluss der ermittelten Stoffströme auf unterschiedliche Umweltfaktoren wie z.B. Klimawirksamkeit, Toxizität, Flächenverbrauch, oder Abbau der Ozonschicht.
  4. Auswertung: Zusammenfassung und einfach verständliche Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse.

Die einzelnen Punkte einer Ökobilanz erfordern oft entsprechendes Fachwissen, Erfahrungen und den Zugang zu entsprechenden Datenbanken. Denn gerade wenn eine Ökobilanz über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus erstellt werden soll, wird schnell ein Punkt erreicht, an dem nur noch bessere Abschätzungen möglich sind. (Die langen und intransparenten Lieferketten dieser Welt richten an dieser Stelle ihre Grüße aus.) Üblicherweise werden daher spezialisierte Dienstleister oder Forschungseinrichtungen damit beauftragt, eine Ökobilanz zu erstellen [3][4].

Zu welchen Ergebnissen kamen Unternehmen und Forschende bei ihren Ökobilanzen?

Der internationale Fahrradhersteller Trek hat sich in 2020 von der Firma WAP Sustainability Consulting die ökologischen Fußabdrücke seiner wichtigsten Fahrradmodelle erstellen lassen. Hierbei wurden nicht nur die verwendeten Materialien, sondern auch Verpackungen und alle notwendigen Transporte berücksichtigt. Für ein einfaches MTB-Hardtail kam man so auf einen Wert von etwa 116 kg CO2e. Davon machte die Herstellung des Rahmens einen Anteil von 17 % aus. Weitere 15 % sind übrigens auf die Federgabel zurückzuführen. Eine weitere interessante Erkenntnis, die aus den Ergebnissen hervorgeht, ist dass die Elektrifizierung eines Fahrrads etwa 76 kg CO2e ausmacht [3].

2010 hat die niederländische Forschungsgruppe TNO den CO2-Fußabdruck eines Fahrrads mit Aluminiumrahmen und einem Gewicht von 19,9 kg (!) auf etwa 96 kg CO2e berechnet. Dieses Ergebnis basiert jedoch scheinbar nur auf der Summe der Klimawirksamkeit der unterschiedlichen Materialien, aus denen ein durchschnittliches Fahrrad besteht. Etwaige Emissionen und Ressourcenverbrauch durch z.B. Bearbeitung, Transportwege, Verpackungen und Abfälle scheinen dabei nicht eingerechnet zu sein [5].

Auch Wissenschaftler der TU Berlin haben in 2012 versucht den CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen Fahrrads zu berechnen. Sie gingen dabei davon aus, dass sowohl die Herstellung des Rahmens, als auch die Endmontage der Fahrräder in Deutschland stattfindet. Für die Montage wurde allerdings angenommen, dass keinerlei Energieaufwand notwendig ist. Außerdem wurde nicht nur die Herstellung, sondern auch die Nutzungsphase und die schlussendliche Entsorgung des Fahrrads. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ein solches Fahrrad einen CO2-Fußabdruck von 238 kg CO2e verursacht. Nicht eindeutig nachvollziehbar ist, ob es sich hier vielleicht um ein eBike handelt. Die Autoren schreiben zwar nirgends explizit welche Art Fahrrad die behandeln, merken jedoch an, dass die „elektronischen Komponenten“ deutlich den größten Teil der CO2e-Emissionen ausmachen [6]. Sofern sie sich in ihrer Arbeit mit eBikes beschäftigt haben, deckt sich der Wert mit dem von Trek berechneten Fußabdruck für eBikes. Allerdings hat auch eine weitere Forschungsgruppe in 2019 für ein in Bangladesch gefertigtes Fahrrad einen ähnlich hohen Wert von 198 kg CO2e für den gesamten Lebenszyklus eines Fahrrades (nicht nur die Herstellung) berechnet. Hier wurden ebenso der Aufwand an Rohmaterialien, Energieaufwand für die Bearbeitung, Transportwege, Abfälle, Ersatzteile und die Entsorgung nach der Nutzungsphase berücksichtigt [7].

Der ökologische Fußabdruck eines Fahrrads

Der Bericht von Trek schlüsselt detailliert den Einfluss einzelner Komponenten auf. Er berücksichtigt sowohl die Materialien, als auch Transporte und basiert möglicherweise auch auf real gemessenen Werten (genaue Infos dazu gibt er jedoch nicht). Verschleiß und Entsorgung nach dem Fahrradleben werden jedoch nicht betrachtet.

Der durch die TNO berechnete Wert vernachlässigt Transportwege, Verpackungen und Abfälle, und kommt damit auf einen um 20 kg CO2e kleineren Wert als Trek.

Die Forschenden der TU Berlin und in Bangladesch ermittelten einen etwa doppelt so hohen Wert, haben jedoch nicht nur die Herstellung, sondern den gesamten Lebenszyklus eines Fahrrads berücksichtigt.

Realistisch könnte der CO2-Fußabdruck zur Herstellung eines durchschnittlichen Fahrrads (ohne E-Antrieb) also im Bereich von 100 bis 150 kg CO2e liegen und für den gesamten Lebenszyklus im Bereich um 200 kg CO2e.

Wenn man für das Fahrrad eine täglich gefahrene Strecke von 10 km an 200 Tagen im Jahr über einen Zeitraum von 7,5 Jahren annimmt, ergibt sich eine Gesamtfahrleistung von 15.000 km. Kombiniert mit dem oben genannten ökologischen Fußabdruck eines Fahrrads von 200 kg CO2e ergeben sich daraus theoretische CO2-Emissionen von 13,33 g/km. Diese Zahl deckt sich mit den Daten des Umweltbundesamts [8]. Zum Vergleich: Ein Auto emittiert durchschnittlich etwa 200 g/km [8]. Mit dem Fahrrad zu fahren reduziert gegenüber dem Autofahren die ausgestoßenen Emissionen also auf etwa ein 15tel.

Ist das Fahrrad Teil einer Kreislaufwirtschaft, wie es bei den Fahrrädern von LINY der Fall ist, erhöht sich seine Gesamtfahrleistung enorm. Zwar werden durch die gelegentliche Wiederaufarbeitung auch Ressourcen verbraucht, jedoch deutlich weniger als bei der Herstellung eines kompletten Neurades. Die CO2-Emissionen pro Kilometer werden durch die Kreislaufwirtschaft also nochmals weiter reduziert.

Die Klimawirksamkeit verschiedener Fortbewegungsarten im Personennahverkehr. Quelle: [8]

Der Einfluss des Rahmenmaterials

Der Sustainability Report von Trek zeigt, dass die Produktion des Rahmens den größten Anteil an der Klimawirksamkeit der Fahrradproduktion ausmacht. Aus den oben genannten Werten kommt man alleine für die Produktion eines Aluminiumrahmens auf einen Wert von 19,7 kg CO2e [3]. Laut Herstellerwebsite wiegt der Rahmen etwa 2 kg [9], wodurch sich eine CO2-Intensität von 9,9 kg CO2e/kg ergibt. Das liegt auch etwa im Bereich der Werte, die in der wissenschaftlichen Literatur für Aluminium zu finden sind. Hier geht man grob von 10 bis 22 kg CO2e/kg aus [10][11][12][13]. Stahl hat hingegen einen um Faktor 10 kleineren CO2-Fußabdruck von etwa 1 bis 2 kg CO2e/kg [10][14][15]. Würde man also dasselbe Fahrrad, nur mit einem Stahlrahmen herstellen, könnte der CO2-Fußabdruck allein dadurch bereits um etwa 9 kg gesenkt werden.

Zusammenfassung

Fahrräder werden aufgrund ihrer potenziellen Energieeinsparungen und Emissionsreduktionen im öffentlichen Diskurs oft als klimafreundliche Alternative hervorgehoben. Die theoretischen CO2-Emissionen während der Nutzung eines Fahrrads über eine bestimmte Strecke sind im Vergleich zum Auto drastisch reduziert. Nicht nur der Wegfall von Verbrennungsabgasen, sondern auch das deutlich kleinere Ausmaß an benötigter Infrastruktur trägt dazu bei.

Doch es ist wichtig, nicht nur die relativen Einsparungen zu betrachten, sondern das Fahrrad in seiner Klimawirksamkeit auch absolute einzuordnen. Die Erstellung einer umfassenden Ökobilanz im Rahmen eines Life Cycle Assessments ermöglicht es, den gesamten Lebenszyklus eines Fahrrads zu berücksichtigen und den CO2-Fußabdruck genauer zu bestimmen. Die Ergebnisse von unabhängigen Untersuchungen zeigen, dass der CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen Fahrrads vermutlich im Bereich von 100 bis 150 kg CO2e für die Herstellung und im Bereich von etwa 200 kg CO2e für den gesamten Lebenszyklus liegt. Es gibt jedoch auch noch viele Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck weiter zu reduzieren, zum Beispiel durch die Verwendung von umweltfreundlicheren Rahmenmaterialien wie Stahl anstelle von Aluminium oder Carbon.

Und natürlich sollte man Fahrräder am Ende auch nicht nur in Bezug auf ihre Klimawirksamkeit betrachten. Das Fahrradfahren bietet zahlreiche weitere Vorteile, wie die Förderung der körperlichen Gesundheit, die Reduzierung von Verkehrsstaus und die Verbesserung der Luftqualität in städtischen Gebieten. Auch aus finanzieller Sicht könnte es sich für unsere Gesellschaft lohnen auf das Fahrrad als Verkehrsmittel zu setzen. Aber das Thema werde ich in Zukunft vielleicht mal noch ein einem eigenen Beitrag beleuchten.

Literatur

1: VDI ZRE, Ökobilanz – DIN EN ISO 14040/44, , https://www.ressource-deutschland.de/leitfaden-re/methoden/oekobilanz-din-en-iso-14040/44/

2: Umweltbundesamt, Hintergrundpapier„HANDREICHUNG BEWERTUNG IN ÖKOBILANZEN“, 2000, https://www.probas.umweltbundesamt.de/download/uba_bewertungsmethode.pdf

3: Trek Bicycle, Trek Sustainability Report and Corporate Commitment, 2021, https://www.trekbikes.com/us/en_US/sustainability/

4: Bernhard Isopp, Why aren’t more big bike firms tracking their environmental impact?, 2021, https://www.theguardian.com/environment/bike-blog/2021/sep/23/why-arent-more-big-bike-firms-tracking-their-environmental-impact

5: Ingrid Hendriksen, René van Gijlswijk, Fietsen is groen,gezond en voordelig, 2010

6: Ya-Ju Chang, Erwin M. Schau, Matthias Finkbeiner, Application of Life Cycle Sustainability Assessment to the bamboo and aluminum bicycles in surveying social risks of developing countries, 2012

7: Papon Roy, Md. Danesh Miah, Md. Tasneem Zafar, Environmental impacts of bicycle production in Bangladesh:a cradle‑to‑grave life cycle assessment approach, 2019

8: Michel Allekotte, Hans-Jörg-Althaus, Fabian Bergk, Kirsten Biemann, Wolfram Knörr, Daniel Sutter, Umweltfreundlich mobil!, Umweltbundesamt 2021, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021_fb_umweltfreundlich_mobil_bf.pdfhttps://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021_fb_umweltfreundlich_mobil_bf.pdf

9: Trek Bicycle, Marlin Rahmenset Gen 2, , https://www.trekbikes.com/de/de_DE/bikes/mountainbikes/crosscountry-mountainbikes/marlin/marlin-rahmenset-gen-2/p/35866/?colorCode=bluedark_blue

10: T.E. Norgate, S. Jahanshahi, W.J. Rankin, Assessing the environmental Impact of metal production processes, 2006

11: Jürgen Vasters, Gudrun Franken, Aluminium – Informationen zur Nachhaltigkeit, 2020, https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/aluminium.pdf?__blob=publicationFile&v=2

12: Christopher Clemence, Leaders Emerge In The Aluminium Industry’s Race To Zero Carbon, 2019, https://aluminiuminsider.com/leaders-emerge-in-the-aluminium-industrys-race-to-zero-carbon/

13: Norsk Hydro ASA, Carbon Footprint of Recycled Aluminium, 2021, https://www.climateaction.org/news/carbon-footprint-of-recycled-aluminium

14: Heiko Reese, Interview: Wir haben die umweltfreundlichste Stahlindustrie der Welt, 2016, https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/wirtschaftspolitik/wir-haben-die-umweltfreundlichste-stahlindustrie-der-welt

15: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), Stahlproduktion, 2018, https://www.dena.de/fileadmin/dena/Publikationen/PDFs/2019/Factsheet_PowerFuels_Stahlproduktion_Industrielle_Prozesswaerme.pdf

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Frank

    Spannende Details, endlich mal konkrete Zahlen! Danke Tim👍

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